Als Fachanwalt für Strafrecht beschäftige ich mich täglich mit rechtlichen Fragestellungen und Anliegen im Bereich des Strafrechts. Ein Thema, das in den letzten Jahren zunehmend Aufmerksamkeit erlangt hat und bei dem viele Menschen rechtliche Klarheit suchen, ist das sogenannte Catcalling – die verbale sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum. In den letzten Wochen hat das Thema erneut an Relevanz gewonnen: Anlass ist ein Kabinettsbeschluss der niedersächsischen Landesregierung. In Hannover wurde kürzlich ein Gesetzentwurf verabschiedet, der die Strafbarkeit von Catcalling vorsieht und demnächst in den Bundesrat eingebracht werden soll.
In diesem Blogbeitrag werde ich als Anwalt für Strafrecht aus juristischer Perspektive beleuchten, ob und inwiefern Catcalling strafbar ist und warum es in Deutschland bislang noch nicht explizit unter Strafe steht.
Catcalling - Was ist das?
Unter dem Begriff Catcalling werden verschiedene sexistische Verhaltensweisen zusammengefasst, die sich gegenüber Frauen und auch Männern richten können. Dazu gehören anzügliche Blicke, aufdringliches Verhalten und das Nachpfeifen. Im Wesentlichen ist Catcalling jedoch die verbale sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum. Es handelt sich beispielsweise um sexuelle Anspielungen oder direkte Aufforderungen zu sexuellen Handlungen.
Warum fällt Catcalling nicht unter den Tatbestand der sexuellen Belästigung?
Obwohl die Auswirkungen von Catcalling auf die Opfer keinesfalls unterschätzt werden sollten, ist es wichtig zu verstehen, dass die deutsche Gesetzgebung eine körperliche Berührung für den Tatbestand der sexuellen Belästigung gemäß § 184i Abs. 1 StGB voraussetzt. Daher erfüllen anzügliche Bemerkungen oder lüsterne Blicke im Rahmen von Catcalling diesen Tatbestand nicht.
Ist Catcalling strafbar?
Im Gegensatz zu Deutschland ist Catcalling in einigen anderen EU-Ländern bereits strafbar und wird entsprechend geahndet. Beispielsweise zählen Frankreich, Belgien, Portugal und die Niederlande dazu. In Deutschland werden rein verbale, sexistisch konnotierte Äußerungen über Delikte wie sexuelle Nötigung, sexuellen Übergriff, Vergewaltigung, Bedrohung, Nachstellung, Exhibitionismus und sexuelle Belästigung im Strafgesetzbuch nicht erfasst. Sexuelle Äußerungen ohne Körperkontakt können allenfalls als (sexuelle) Beleidigung gemäß § 185 StGB bewertet werden. Hierbei müssen jedoch zusätzlich entwürdigende, herabsetzende Elemente im Zusammenhang mit der Äußerung vorhanden sein, was hohe Hürden darstellen kann. Eine Gesetzeslücke ist zweifelsohne erkennbar, jedoch müssen wir uns fragen, ob das alleinige Vorhandensein einer Lücke ausreichend ist, um neue Straftatbestände einzuführen. Die Frage, ob gewisse straffreie Räume in bestimmten Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens hinzunehmen sind, hängt von vielen Faktoren ab, einschließlich der moralischen Vorstellungen und der Betroffenheit der beteiligten Personen sowie den Absichten und Motiven der Täter.
Gesetzesentwurf aus Niedersachsen
Wie bereits erwähnt, sind derartige Belästigungen in Deutschland – anders als in einigen anderen europäischen Ländern – derzeit grundsätzlich straflos, unabhängig von ihrer Intensität. Auch als Ordnungswidrigkeiten lassen sich die meisten dieser Fälle aktuell nicht verfolgen. Um diese Lücke zu schließen, sieht der vom Kabinett beschlossene Gesetzentwurf die Einführung eines neuen Straftatbestands zur verbalen und nonverbalen sexuellen Belästigung vor. Dieser soll als neuer Absatz 1 in § 184i des Strafgesetzbuchs (StGB) aufgenommen werden. Zukünftig sollen sexuell belästigende Äußerungen und ähnliche nonverbale Verhaltensweisen strafbar sein, sofern sie eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschreiten. Der Entwurf sieht hierfür eine Strafandrohung von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe vor.
Fazit
Aus meiner Sicht als Strafverteidiger in Hannover schließt der aktuelle Gesetzentwurf eine bestehende Lücke im deutschen Strafrecht. Die Einführung eines Straftatbestands für verbale und nonverbale sexuelle Belästigung könnte es ermöglichen, Fälle des Catcallings, die bisher ohne Körperkontakt und damit straflos blieben, rechtlich zu verfolgen. Mit der geplanten Erweiterung des § 184i StGB würde das Strafrecht damit erstmals ein Mittel bieten, gegen sexualisierte verbale Belästigungen auch ohne physischen Übergriff vorzugehen. Allerdings sind dabei zentrale Fragen zu klären: Zum einen muss genau definiert werden, welche Äußerungen strafrechtlich relevant sind und wo die Grenze zur Meinungsfreiheit verläuft. Zum anderen stellt sich die grundsätzliche Frage, ob das Strafrecht zur Regulierung aller gesellschaftlichen Missstände herangezogen werden sollte, oder ob in bestimmten Bereichen auch weiterhin straffreie Räume bestehen können. Insgesamt bietet der Gesetzentwurf eine wertvolle Grundlage, um den gesellschaftlichen und juristischen Diskurs zum Schutz der Persönlichkeitsrechte im öffentlichen Raum zu erweitern. Ich werde die Entwicklung dieses Vorstoßes im Bundesrat daher als Strafverteidiger mit Interesse verfolgen und bin gespannt, wie sich der Gesetzgeber zum Thema Catcalling positionieren wird. Bei Fragen zu diesem Thema oder zu strafrechtlichen Anliegen anderer Art stehe ich Ihnen in meiner Kanzlei für Strafrecht in Hannover gerne zur Verfügung.
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